„Pflege – wohin?“

Diskussionsveranstaltung des OV Mühldorf am 27.9.2023
Wie sieht die Gegenwart der ambulanten und stationären Pflege aus? Welche Lösungen gibt es für die Zukunft? Zu diesem Thema, das früher oder später jede*n von uns betrifft, veranstaltete der Grüne Ortsverband Mühldorf einen Dialogabend im Café Innleitn in Ecksberg. Unter der Moderation von Landtagskandidatin Bianca Hegmann diskutierten die Pflegesachverständige Susanne Schirmer, der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen Landtagsfraktion, Andreas Krahl (selbst Krankenpfleger) sowie Bezirkstagskandidatin Lena Koch, ausgebildete Ergotherapeutin.

v.l.n.r.: Andreas Krahl, Susanne Schirmer, Bianca Hegmann, Lena Koch

Einleitend präsentierte Hegmann einige aufschlussreiche Zahlen: „2021 gab es 578.000 pflegebedürftige Menschen in Bayern. Ihre Zahl stieg allein zwischen 2019 und 2021 um 17%. Im Jahr 2050 werden es etwa eine Million sein. Wie gehen wir mit dieser Herausforderung um?“ Etwas überraschend stellte Schirmer zu Beginn ihres Beitrags fest: „Es gibt bei uns genügend ambulante und stationäre Pflegeangebote; was fehlt, ist oftmals die Information der Betroffenen und ihrer Angehörigen über diese Angebote.“ Vielfach würden Menschen verfrüht in stationäre Einrichtungen überwiesen, obwohl sie auch daheim oder in einer Tagespflegeeinrichtung betreut werden könnten. Auch gebe es bei vielen älteren Menschen immer noch Ängste, ihr Eigentum zu verlieren, wenn sie fremde Hilfe in Anspruch nähmen. Wichtig sei der Ausbau der Pflegeberatung, auch für Angehörige, die immer noch eine wesentliche Rolle bei der Betreuung älterer und kranker Menschen spielen. Der Personalmangel sei ein Problem, das mit verbesserter Finanzierung für Fachkräfte über die Pflegekassen gelöst werden müsse.


Andreas Krahl unterstrich das Bild von der Zukunft des Pflegesystems: „Die Babyboomer-Generation geht in den nächsten zehn Jahren in Rente. Zwar ist das noch nicht gleichbedeutend mit Pflegebedürftigkeit, jedoch ist eine dramatische Lücke zwischen Pflegebedarf und Personal im Pflegebereich abzusehen, weil gerade auch viele Pflegekräfte dieser Generation angehören.“ Als wesentlichen Hebel zur Lösung der absehbaren Probleme sieht die berufsständische Organisation und Interessenvertretung der Beschäftigten im Rahmen einer „Pflegekammer“. Laut Krahl werden 72% der Pflegebedürftigen nach wie vor von den Angehörigen – überwiegend Frauen – versorgt. Dies sei zwar für die Gesellschaft preiswert, jedoch produziere „die Angehörigenpflege von heute die Altersarmut von morgen“, weil die Angehörigen aus der Pflegekasse nur ein geringes Entgelt erhalten, ohne Sozialbeträge einzuzahlen. Ein Beispiel, wie es auch anders geht, zeige das Burgenland in Österreich, wo die Angehörigen regulär beim Staat angestellt werden. Ganz wesentlich sei auch die Prävention, um die Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich hinauszuschieben. Woher soll dafür das Geld kommen? Hier machte Krahl eine einfache Rechnung auf. Der Freistatt gebe jährlich 420 Mio Euro für das „Bayerische Pflegegeld“ aus, das Bedürftige und nicht Bedürftige pauschal erhalten.


Dieses Geld bewirke praktisch nichts. Es könne viel sinnvoller für Präventionsmaßnahmen und gezielte Verbesserungen im System verwendet werden. Lena Koch informierte in ihrem Beitrag zunächst über die vielfältigen Aufgaben der Bezirke, in den Bereichen Inklusion, Suchterkrankungen, Umweltschutz usw.. Dazu gehöre auch die Übernahme von Pflegekosten bei Hilfsbedürftigkeit. Ihre Motivation, für den Bezirkstag zu kandidieren, resultiere nicht zuletzt aus ihrer Berufserfahrung als Ergotherapeutin in einer stationären Einrichtung sowie aus ihrer jetzigen Tätigkeit als Umweltpädagogin. „Ich möchte gern soziale und umweltpolitische Aspekte zusammenbringen!“ Ein Projekt sei dabei die verstärkte Verwendung von bioregionalen Lebensmitteln in der Verpflegung von öffentlichen Einrichtungen, z.B. auch Kliniken. „So erhalten die Menschen gesundes Essen, und gleichzeitig werden Absatzmärkte für Bioerzeugnisse unserer
Landwirte geschaffen.“ Als zweites Herzensanliegen nannte sie die Einrichtung von ortsnahen Betreuungseinrichtungen für ältere Menschen, damit diese nicht ihr vertrautes Umfeld verlassen müssten. Die „soziale Landwirtschaft“, z.B. mit Pflege auf dem Bauernhof könne auch für Bauernfamilien ein neues wirtschaftliches Standbein darstellen und attraktive Arbeitsplätze für „ausgestiegene“ Pflegekräfte darstellen.

In der anschließenden Diskussion waren sich Publikum und Podiumsteilnehmende einig, dass es angesichts der Vielfalt der Bedürfnisse und Biografien eine größere Vielfalt an Angeboten geben müsse. Verschiedene Modelle des „Betreuten Wohnens“, auch der Tagespflege, könnten dem Rechnung tragen. Allerdings fehle hier – so Krahl – bisher noch die gesetzliche Grundlage. Zwar spielten private Anbieter eine zunehmend wichtige und notwendige Rolle. Kritisch sah er jedoch das Agieren von Konzernen, die aus dem Betrieb von Pflegeheimen satte Gewinne für die Aktionäre aus dem öffentlich finanzierten System abschöpfen. Auf die Frage, ob die Einführung eines verpflichtenden Sozialen Jahres für junge Erwachsene zur Lösung der Probleme beitragen könne, reagierte Krahl skeptisch. Vielmehr solle der Bundesfreiwilligendienst so attraktiv gemacht werden, dass interessierte junge Menschen freiwillig – und dann auch möglichst langfristig – im Sozialbereich tätig werden. Schließlich kam auch die verbreitete Beschäftigung von Pflegerinnen aus Osteuropa und den Balkanländern zur Sprache. Laut Krahl und auch Schirmer sei diese illegal und in keiner Weise mit der Pflege durch Fachkräfte gleichzusetzen. Sie wüssten, welch wichtige Rolle dieses Modell in der Praxis spielt, könnten aber aktuell keine Lösung anbieten, wie dies in das bestehende Pflegesystem integriert werden könne.


Fazit des Abends: Die Pflege älterer und kranker Menschen ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Dabei muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Um die bestehenden und noch kommenden Probleme im Pflegebereich zu lösen, sind – neben mehr Finanzmitteln – vor allem kreative Lösungen gefragt. Unsere Kandidatinnen Lena Koch und Bianca Hegmann werden sich mit aller Kraft für eine Politik einsetzen, die an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist.

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