Veranstaltungsbericht zu „Verkehrswende – JETZT!“

8.2.2023, Informations- und Diskussionsveranstaltung „Verkehrswende- JETZT!“

19:00 Uhr im Restaurant Bastei, Mühldorf

Gut besuchte Veranstaltung der Grünen zur Verkehrswende

„Verkehrswende – JETZT!“ – mit diesem Thema hatten die Mühldorfer Grünen offenbar einen Nerv getroffen, denn die Ortsvorsitzenden Kristin Martl-Hassan und Michael Hartl konnten mehr als 50 Gäste aus der Kreisstadt und dem weiteren Umland zu ihrer Informations- und Diskussionsveranstaltung in der Bastei begrüßen.

Drei Referenten und eine Referentin beleuchteten das Thema aus verschiedenen Perspektiven. Den Anfang machte Stadtrat und Verkehrsreferent Dr. Georg Gafus. Als Hauptproblem in Mühldorf benannte er das rasante Wachstum des (Auto-)Verkehrs bei nahezu gleichbleibender Infrastruktur. „Allein zwischen 2013 und 2021 ist der Bestand an Kraftfahrzeugen auf fast 16.000 gestiegen, das heißt mit 29% weit stärker als die Einwohnerzahl!“ stellte er fest. Dies führe nicht nur zu vermehrten Staus, Lärm und Schadstoffbelastungen, sondern auch zu wachsendem Platzbedarf, da die Fahrzeuge die meiste Zeit herumstehen und öffentlichen Raum beanspruchen. Nach Daten der Verkehrszählung von 2018 seien etwa 70% des Gesamtverkehrs Binnenverkehr innerhalb des Stadtgebietes, davon fast 70% Autoverkehr. Dies sei paradox, denn wegen der kompakten Siedlungsstruktur lägen alle Ortsteile in einem Radius von 3 km um die Ortsmitte. „Solche Entfernungen kann man gut zu Fuß oder per Rad zurücklegen. Leider sind die meisten Radwege aber schlecht und unsicher, so dass viele Menschen sich scheuen, im Alltag das Rad zu benutzen; besonders die Kinder kann man kaum allein auf die Straße lassen. Viele Fußgänger beklagen sich auch über fehlende Zebrastreifen.“ Ein großes Manko sieht Gafus in dem völlig unzureichenden Busangebot, weswegen z.B. Pendler und Berufstätige den Öffentlichen Nahverkehr kaum nutzen können. Gafus stellte drei prägnante Forderungen: 1. Aufstockung der Mittel für Fuß- und Radwege auf mindestens 30€ pro Einwohner, 2. ein leistungsfähiges, flächendeckendes ÖPNV-Angebot mit besserer Anbindung an die Bahn und 3. zeitnahe Umsetzung der Vorschläge der AG „Verkehrswende“. Als positiv bewertete er, dass die Stadt sich der Initiative von Kommunen für Tempo 30 angeschlossen habe.

„Mobilitätspolitik bedeutete in den letzten Jahrzehnten vor allem, durch die Windschutzscheibe auf Verkehr zu blicken. Das Auto war und ist immer noch das Maß aller (Verkehrs-)Dinge, besonders im Landkreis Mühldorf. Vergessen wurde dabei jedoch, dass es Menschen gibt, die nicht Auto fahren können, weil Sie zu jung, zu alt oder nicht fit genug sind, oder es sich schlicht nicht leisten können!“ so die These der grünen Landtagskandidatin Bianca Hegmann. An Hand von Grafiken arbeitete sie die Unterschiede zwischen „arbeitsbezogenem“ und „sozialem“ Verkehr heraus und warb für einen Perspektivwechsel in der Verkehrspolitik. Am Beispiel der Gemeinde Polling, wo verschiedene Einrichtungen auf mehrere Ortsteile verteilt sind, zeigte sie auf, dass die Verkehrsplanung die alltäglichen Mobilitätsbedürfnisse – vor allem von Frauen und Kindern –  bisher kaum berücksichtige. So fehle zwischen Polling und Oberflossing dringend eine direkte Radwegverbindung und ein öffentliches Busangebot. Auf diese Weise seien die Menschen quasi zum Autofahren gezwungen. „Besonders der Begleitverkehr („Elterntaxi“) könnte überflüssig werden,“ so Hegmann, „wenn es sichere, einfache Rad- und Fußwege für unsere Kinder gäbe!“

MDL Dr. Markus Büchler

„Der Verkehr ist das Sorgenkind der Energiewende!“ stellte der grüne Landtagsabgeordnete und Fraktionssprecher für Mobilität, Dr. Markus Büchler, in seinem Vortrag fest. Im Gegensatz zur Strom- und Wärmeerzeugung sei es hier bisher nicht gelungen, die CO2-Emissionen zu senken. Dies liege vor allem an der jahrzehntelangen Vernachlässigung umweltfreundlicher Verkehrsarten. So investiere Bayern jährlich 2,5 Mrd. Euro in den Straßenbau, aber nur 40 Mio Euro in das Radwegenetz. Bei den Pro-Kopf-Investitionen in die Schiene liege Deutschland meilenweit hinter anderen Ländern wie der Schweiz und Österreich zurück.

Die aktuelle Ausschreibung des Bahn-Liniensterns Mühldorf, worin veraltete, nicht barrierefreie Züge zulässig sind, sei ein Beispiel dafür, dass der Freistaat auf Kosten der Bahnkunden sparen will , während er gleichzeitig Milliarden in das unsinnige Projekt der zweiten S-Bahn-Stammstrecke investiere.
Büchler plädierte entsprechend für eine deutliche Umschichtung der Finanzmittel vom Straßenbau zugunsten anderer Verkehrsträger, denn allein mit dem Umstieg vom fossilen Antrieb zum E-Auto könne die Verkehrswende nicht gelingen.
„Wir wollen eine Mobilitätsgarantie mindestens mit Stundentakt, von 5 Uhr bis Mitternacht – auch für den Ländlichen Raum!“ beschrieb Büchler die Zielsetzung der Grünen. Dies könne über einen deutlichen Ausbau des ÖPNV in der Fläche mit Bussen, Sammeltaxis oder Carsharing erreicht werden. Um das System attraktiver und einfacher zu machen plädierte Büchler für integrierte Verkehrskonzepte und eine rasche Ausweitung von Verkehrsverbünden mit einheitlichem Tarifsystem. Das Deutschlandticket werde einen deutlichen Schub für die Nachfrage bringen. Ein alltagstaugliches Rad- und Fußwegenetz innerhalb und zwischen Ortschaften sei ebenfalls eine wichtige Forderung.

Grafik (Bianca Hegmann): Unterschiedliches Mobilitätsverhalten

An diesem Punkt hakte der vierte Referent, Professor Andreas Kagermeier ein, der als Vertreter des ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD) und Co-Sprecher des Bündnisses  „Radentscheid Bayern“ eingeladen war. Anhand aussagekräftiger Fotos machte Kagermeier klar, wie notwendig die Schaffung sicherer Radverbindungen ist. Gleichzeitig brachte er die Ankündigungen der Regierung („Radlland Bayern“) auf den Boden der Tatsachen zurück. Die angekündigte Schaffung von 1500 km Radwegen bis 2030 sei ein Tropfen auf den heißen Stein. „Potemkin lässt grüßen“, meinte der Referent, denn das angekündigte „Radverkehrsnetz Bayern“ bestehe zum großen Teil aus normalen Straßen und bleibe auf absehbare Zeit ein Flickenteppich. Dagegen wende sich das Volksbegehren „Radentscheid Bayern“. Der Antrag auf Zulassung des Begehrens wurde Ende Januar bei der Staatsregierung eingereicht. Nun heiße es abwarten, ob es akzeptiert werde oder ob die Initiatoren die Zulassung vor Gericht erkämpfen müssen. Er rief die Anwesenden auf, sich weiter zu engagieren, damit ein ambitioniertes  Bayerisches Radgesetz Wirklichkeit wird.

Zahlreiche Fragen und Diskussionsbeiträge zeigten im Anschluss an die Vorträge, dass vielen Menschen die angesprochenen Fragen unter den Nägeln brennen.

Mühldorf, den 20.02.2023

Fotos (von Adelina Dragusha):

Gruppenfoto mit (von links): Michael Hartl (OV Mühldorf ), Dr. Markus Büchler (MdL) Kristin Martl-Hassan (OV Mühldorf), Bianca Hegmann (Landtagskandidatin), Prof. Andreas Kagermeier (Radentscheid Bayern/VCD) und Dr. Georg Gafus (Verkehrsreferent Mühldorf)

Dr. Büchler bei seinem Vortrag

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